Wir sind nun 400 Tage
an Bord und haben nur noch 29 Tage unseres Sabbaticals übrig.
Es ist wieder Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wir haben die gleichen acht
Fragen, die ich nach 100 (siehe hier), 200 (siehe hier) und 300 (siehe hier) Tagen gestellt
hatte, diesmal für die Zeit vom 30.04.2018 bis 07.08.2018
unabhängig voneinander beantwortet. Wir haben in den letzten 100 Tagen die
Strecke von Virgin Gorda (BVI) nach Nantucket, Massachusetts (USA)
zurückgelegt.
Was hat dir am besten/am wenigsten gefallen?
Ralf:
Am besten gefallen:
Die letzten 100 Tage waren voll von schönen Erlebnissen
der unterschiedlichsten Art. Einen großen Teil der Zeit verbrachten wir in den
USA, die viel zu bieten haben. Wirklich auffällig ist für mich die
Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Amerikaner. Viele haben deutsche
Vorfahren, und wenn sie unseren Akzent hören, haben wir sofort ein
Gesprächsthema.
Wir waren in vielen Museen. Das liegt am Angebot, aber
auch an der Qualität der Häuser. Hier wird exzessiv gespendet, und das Geld
wird gut investiert. Wenn es möglich ist, wird ein Erlebnis geboten, also
mitmachen und anfassen ist erwünscht. Fast überall gibt es kostenlose
Führungen.
Meine Bestenliste:
Mystic
Seaport
12 mR
segeln
9/11
Memorial
Ellis
Island
Die Führung im Rockefeller Center - der Guide war der
Knaller
Die
Hemmung des Uhrwerks des Bromo Selzer Towers: Denison double three-legged
gravity escapement. Sehr clever! In Youtube gibt es eine hervorragende
Animation.
Nicht gefallen:
Im ICW haben wir eine Nacht im Alligator River geankert.
Das ist ein Naturschutzgebiet. Neben Stechmücken unterschiedlichster Art und
Größe haben uns nachts 2 Millionen kleine Mücken überfallen, die unter unserem
Cockpitdach Schutz vor dem Wind gesucht haben. Leider sind sie dort gestorben.
Beim Wegfegen verwandelten sie sich in eine schwarze Klebemasse.
Wir sind hier in einer amerikanischen Urlaubsregion. Sie
sind im Moment alle da, die Urlauber...
Cosima:
Von unserer ganzen
Zeit haben mir die letzten 100 Tage insgesamt am besten gefallen. Ich hatte ja
schon vermutet, dass ich mich eher zum Norden hingezogen fühle und so ist es
auch. Wir sind jetzt in New England und von allen Revieren seit Kontinental-Europa
ist das hier das erste, in dem ich gerne noch eine Segelsaison verbringen
würde.
Daher gibt es für
mich auch viele Highlights. Seglerisch waren das die Langstrecken von den BVIs
nach Bermuda und dann von Bermuda nach Beaufort, North Carolina. Beide
Überfahren haben sehr gut geklappt und haben viel Spaß gemacht. Schön war auch
der Sonnenaufgang auf dem Weg nach New York. Bermuda ist eine wunderbare Insel
und Beaufort eine sehr nette Stadt. Gut gefallen haben mir auch Annapolis,
Baltimore und Washington DC. Einsame Spitze ist aber New York mit Paul und
Leonie und der totale Gänsehaut-Moment war das Ankern vor der Freiheits-Statue –
völlig irreal! Klasse war auch das Segeln mit dem „Zwölfer“.
Überhaupt gibt es
hier an der Ostküste so viel historischen Boden und so viel zu sehen und zu
besichtigen. Alleine die Museen in Washington und New York und die maritimen
Museen in St. Michaels und besonders in Mystic Seaport… Die Ankerbuchten und
netten kleinen Orte und ganz besonders die vielen netten und interessanten
Menschen, die wir unterwegs treffen!
Absoluter Tiefpunkt
war ganz sicher der Ankerplatz im Alligator-River. Ich sage nur: Insekten-Alarm.
So eine Invasion haben wir glücklicherweise nie vorher oder nachher erlebt… In
der Chesapeake Bay war es an einigen Tagen extrem heiß, sehr unangenehm.
Was war die gefährlichste Situation?
Ralf:
Wir hatten keine wirklich gefährliche Situation.
Die größte Gefahr ist meine / unsere Erfahrung. Manchmal
versuche ich, seglerische Dinge etwas lockerer zu handhaben, was nicht klug
ist. Aber Cosima ist in dieser Hinsicht disziplinierter und sorgt für die
richtige Spur.
Bei der Einfahrt in den Beaufort Inlet haben wir beide
gepennt. Wir sind nach einer fantastischen Überfahrt nachts um 2 Uhr
angekommen. Der Wind war auflandig und ein mächtiger Gezeitenstrom lief uns
entgegen. Diese Situation versucht jeder Segler durch ein gutes Timing zu
vermeiden, da sich gefährlich steile Wellen bilden. Nach Monaten ohne den
Einfluss von Gezeiten hat einfach keiner von uns daran gedacht, die Situation
zu überprüfen. Ging aber alles glatt.
Cosima:
Für mich war die
gefährlichste Situation ganz eindeutig die Fahrt mit zwei unbeleuchteten und
mit Einkäufen beladenen Fahrrädern ohne Beleuchtung im Dunkeln auf einer stark
befahrenen Brücke ohne Seitenstreifen. Geblendet durch die entgegenkommenden
Fahrzeuge konnte ich Ralf, der direkt vor mir fuhr, praktisch nicht mehr sehen.
Dazu kam, dass ich meine normale Brille nicht dabei hatte, was meine Nachtsicht
nicht unbedingt verbessert hat…
Zwei
Adrenalin-Momente (aber nicht wirklich gefährlich) beim Segeln bzw. Ankern waren
für mich die Einfahrt nach Beaufort (dunkel, windig, Gegenstrom, Verkehr) und
die Schauerböe mit Winddreher, als wir (zu) dicht an Land vor Anker lagen.
Hast du etwas getan, was du vorher noch nie getan hast?
Ralf:
Ankern vor der Statue of Liberty.
So vieles, dass es den Rahmen sprengen würde. Das waren
die intensivsten 100 Tage unserer Reise.
Cosima:
Ja, ich bin nach
New York gesegelt und habe vor der Freiheits-Statue geankert… ich habe 400 Tage
mit meinem Mann auf wenigen Quadratmetern verbracht… ich habe einen „Zwölfer“
gesteuert.
Wie unterscheidet sich das, was du erlebt hast, von deinen Erwartungen?
Ralf:
Es ist ganz schön warm hier. Vom Breitengrad her logisch,
aber ich bin mit dem Bauchgefühl hier angereist. Neuengland = kalt. Falsch. Nur im Winter.
Die Menschen, die wir hier treffen, sind wesentlich
informierter und interessierter am Weltgeschehen, als ich das erwartet hatte. Viele
waren schon in Europa, kennen Merkel und Erdogan und finden Trump genauso einen
Hammer wie ich.
Cosima:
Meine Erwartungen
an Natur und Kultur haben Bermuda und die Ostküste der USA mehr als erfüllt.
Die längeren Segelstrecken haben wir sehr gut bewältigt, da hatte ich mir Gedanken
gemacht. Nicht erwartet hatte ich, dass die Menschen hier so offen, freundlich
und interessiert auf uns zugehen und uns ansprechen und fragen, wo wir
herkommen, ob wir hergesegelt sind etc.
Witzig finde ich,
dass praktisch jeder uns über seine Verbindung nach Deutschland erzählt: deutsche
Vorfahren, schon mal in Deutschland gewesen (z.B. mit der Army), deutsche
Brieffreundin, deutschen Freund, Deutsch in der Schule gehabt, kann ein paar
Worte Deutsch, deutscher Schäferhund…
Was würdest du rückblickend anders machen?
Ralf:
Das Wetter bestimmt unsere Zeitplanung. Viel ändern kann
man nicht. Aber ich würde versuchen, insgesamt einen Monat früher hier zu sein
und noch weiter in den Norden segeln. Das ist einfach mehr mein Ding als der Süden.
Cosima:
Auch bei
gründlicher Überlegung fällt mir da nix ein. Im Gegenteil, ich bin sehr froh, dass
wir nicht von Bermuda nach Europa zurückgefahren sind, sondern uns noch die
Ostküste anschauen.
Was würdest du nicht mehr mitnehmen/auf jeden Fall mitnehmen?
Ralf:
Keine Änderung zu meinen vorigen Antworten.
Cosima:
Auf jeden Fall
mitnehmen: meine Elektronik (Kameras, Smartphone, PC, Tablet), Seekarten,
Handbücher, Reiseführer und meinen Mann. Ansonsten von allem weniger: weniger
Kleidung und Schuhe, weniger Schmuck, weniger CDs, DVDs, „richtige“ Bücher…
Besonders freut
mich, dass unser Boot so gut für diese Reise geeignet ist. In allen Situationen
habe ich mich gut und sicher gefühlt. Das Schiff ist sehr gutmütig, arbeitet
hervorragend mit der Wind-Selbststeueranlage, lässt sich gut handhaben und
segelt auf fast allen Kursen gut. Das feste Dach ist Gold wert (Danke, Philipp)
und durch die zu öffnende Frontscheibe auch in den Tropen angenehm. Ich habe
noch kein Schiff gesehen, dass ich gegen unsere alte Lady eintauschen würde.
Was vermisst du am meisten (außer Menschen und Kater)?
Ralf:
Keine Änderung zu meinen vorigen Antworten.
Cosima:
Mit nur noch 29
Tage vor uns vermisse ich nichts, aber ich beginne mich auf das Wiedersehen mit
Familie und Freunden zu freuen. Und auf unseren Kater, unsere Wohnung (sorry,
Paul und Leonie), mein Bett und die Badewanne, Hildegards Kochkünste, bestimmte
Lieblingsessen…
Was erwartest du für die letzten 29 Tage?
Ralf:
Wir sind in einem hervorragenden Segelrevier mit vielen
historischen Hafenstädtchen und schönen Ankerbuchten. Boston steht auch noch
auf unserer Liste und ich verstehe mich gut mit Cosima. Ich erwarte also noch einen super Monat an Bord der
Triton!
Cosima:
Ich hoffe, dass es
mit unserem Winterlager und dem Rückflug klappt und dass wir noch ein paar
nette Orte in New England besuchen können. Besonders freue ich mit auf Provincetown
(das uns mehrfach wärmstens empfohlen wurde) und auf Boston. Vielleich kommen
wir ja sogar bis Maine.
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