Mittwoch, 11. Oktober 2017

Zwischenbilanz 100 Tage

Wir sind nun 100 Tage zusammen an Bord, haben grob ein Viertel unseres Sabbaticals hinter uns und es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich habe mir daher acht Fragen überlegt und wir haben diese unabhängig voneinander beantwortet. Wir haben die Strecke Workum (Niederlande) - Lanzarote (Kanarische Inseln) zurückgelegt.

Was hat dir am besten/am wenigsten gefallen?


Ralf:
Positiv:
Ausrüstung: Die Hydrovane Windselbststeueranlage, von uns Sir Henry getauft. Zusammen mit der Triton ein Dreamteam. Sie steuert ohne Energieverbrauch, leise und zuverlässig. Ein angenehmes Crewmitglied.

Segeln: Von Lissabon nach Porto Santo. 500 sm Blauwassersegeln vom Feinsten.
Konstante Windrichtung und optimale Stärke für unser Boot.  Cosima und ich haben als Crew einen Rhythmus gefunden, mit dem wir auch problemlos hätten weiter segeln können.

Land: Keine Auswahl möglich. Wir haben zu viele schöne Orte besucht.

Leute: Wir haben eine Menge nette Segler kennen gelernt. Das Konzert der " Sound of the Vikings" war sicherlich ein Höhepunkt.

Negativ: Das Segeln im Englischen Kanal war kräftezehrend. Kalt, regnerisch und der Wind überwiegend aus der falschen Richtung - von vorn!

Cosima:
Es gab so viele unterschiedliche und tolle Erlebnisse, so dass es echt schwierig ist, einen Favoriten auszuwählen. Segeln nachts unterm Sternenhimmel ist sicher dabei und auch das unglaublich blaue Wasser des Atlantik. Ich habe manchmal stundenlang nur den Wellen und den unterschiedlichen Farben des Wassers zugeschaut. Mir hat es viel Freude gemacht, andere Langfahrtsegler zu treffen und uns auszutauschen. Und es ist sehr schön, dass Ralf und ich uns so gut verstehen!

Mir gefällt auch, dass es so abwechslungsreicht ist: wir haben viel eindrucksvolle Natur und Kultur gesehen, sind Quad, Auto, Dampfzug, Kursschiff, Rad, Beiboot, Segelboot, Straßenbahn, Zug, Bus und Seilbahn gefahren und auf Kamelen geritten…

Am wenigsten gefällt mir, dass ich an manchen Tagen nicht so fit bin und nicht so gut laufen kann, wie ich es mir wünschen würde.

Was war die gefährlichste Situation?


Ralf:
Gefährlich habe ich nichts empfunden. Am längsten hat uns ein Schiff, das nachts ganz langsam in einem spitzen Winkel überholt hat, beschäftigt. Cosima hat es über mehrere Stunden beobachtet und es war nicht klar, ob ein Manöver notwendig ist und wer es ggf. macht. Unser Funkgerät war kaputt, deshalb konnten wir das Schiff nicht ansprechen. Wir haben als Segler in freiem Wasser Wegerecht und letztendlich ist uns das Schiff ausgewichen.

Cosima:
Wirklich gefährliche Situationen haben wir aus meiner Sicht nicht erlebt. Es gab einige, bei denen bei mir der Adrenalinspiegel erhöht war. Eigentlich immer, wenn Ralf bei Wellengang auf dem Vorschiff arbeitet, z.B. refft, ausbaumt oder die Bulle setzt. Auf dem Weg von Porto nach Lissabon waren die Wellen so groß, dass ich mir überlegt habe, was passiert, wenn wir querschlagen. Wir haben daraufhin die Steckschotten eingesetzt und uns im Cockpit angeschnallt.

Am unangenehmsten fand ich die nächtliche Begegnung mit einem Großschiff auf dem Weg von Lissabon nach Porto Santo. Es war Nacht und unsere Funke und der AIS Empfänger gingen nicht. Das Schiff kam in einen sehr spitzen Winkel von hinten und wir hatten ausgebaumt und das Groß festgebunden, so dass wir unseren Kurs nur aufwendig ändern konnten. Das Schiff fuhr relativ langsam und es war längere Zeit nicht klar, ob es vor uns vorbeigehen würde. Als wir gerade etwas unternehmen wollten, hat es dann seinen Kurs geändert.

Hast du etwas getan, was du vorher noch nie getan hast?


Ralf:
Ja. Soviel, dass der Platz nicht ausreicht, um alles aufzuzählen.

Seglerisch unterscheidet sich dieser Törn grundlegend von allen meinen bisherigen Segelreisen. Wir fahren nicht mehr an der Küste entlang, sondern überqueren Teile des Atlantischen Ozeans. Das ist nicht schwieriger, aber die Zeitspannen auf dem Wasser sind einfach länger.

Cosima:
Ja, jede Menge. Ich bin noch nie vorher vier Nächte am Stück auf See gewesen. Ich bin noch nie 100 Tage am Stück auf einem Boot gewesen. Ich habe noch nie so lange mit einem Menschen 24/7 auf ca. 10 qm verbracht. Ab Salcome habe wir nur neue Häfen besucht. Ich war noch nie in Galicien, Portugal, Porto Santo, Madeira, Lanzarote. Ich bin noch nie Quad gefahren oder auf einem Kamel geritten.

Wie unterscheidet sich das, was du erlebt hast, von deinen Erwartungen?


Ralf:
Segeln:
Vom Englischen Kanal und der Biscaya abgesehen, ist das Segeln wesentlich einfacher, als ich es erwartet habe. Es ist um 24 Grad warm, sonnig und moderat windig. Die Gezeiten spielen keine Rolle mehr. Es gibt kein signifikantes Wettergeschehen mit schnell wandernden Tiefdruckgebieten, wie ich es von den nördlichen Breiten kenne. Der Wind kommt i. d. R. aus N-NE, lediglich die Stärke variiert etwas. Deshalb sind die längeren Überfahrten gut planbar und frei von bösen Überraschungen. Das Segelrevier von Galicien, die Rias, haben mir außerordentlich gut gefallen.

Bordleben:
Problemlos wie erwartet. Cosima fotografiert und schreibt, ich repariere und optimiere.

Cosima:
Es ist viel schöner, als ich erwartet habe. Erst einmal hatte ich mir den August in Spanien/Portugal viel wärmer und touristischer vorgestellt. Stattdessen ist das Wetter meistens wirklich angenehm und der Tourismus ist, außer an sehr großen Sehenswürdigkeiten, eher moderat. Die Häfen sind nicht überlaufen und wir haben immer einen Platz bekommen. Porto Santo, Madeira und Lanzarote sind drei sehr unterschiedliche Inseln, die jeweils ihren eigenen Charme haben.

Ich hatte auch Bedenken, wegen des engen Zusammenlebens und der Entscheidungsfindung. Aber bisher verstehen wir uns sehr gut, die Manöver mit dem Boot funktionieren und wir sind uns einig, was die Planung auf dem Wasser und an Land angeht.

Was würdest du rückblickend anders machen?


Ralf:
Boot:
Wenn ich vor der Abreise auch nur geringste Zweifel an der Funktionstüchtigkeit eines Bauteils habe, werde ich das Teil zukünftig austauschen. Sollte es nicht kaputt sein, habe ich ein erprobtes Ersatzteil dabei. Die Teilebeschaffung im Ausland Ist mühselig, langsam und teuer.

Start:
Unser Abreisetermin diente zur Orientierung und war nicht verbindlich. Ich habe mich von empfohlenen Zeitplänen der Segelhandbücher drängeln lassen und nach unserer Abreise noch Ausrüstungsgegenstände eingebaut. Das kostete unnötig Zeit und Kraft. Ein paar Tage länger auf der Werft und alles wäre in Ruhe montiert gewesen. Eine Woche später kann man auch noch problemlos über die Biscaya segeln.

Cosima:
Viel mehr Bücher, Hörbücher, Filme, Serien und Musik noch zuhause mit schnellem Internet herunterladen. Mehr Getränke von zuhause mitnehmen bzw. Gefühlt kaufen wir ständig Getränke ein.

Was würdest du nicht mehr mitnehmen/auf jeden Fall mitnehmen?


Ralf:
Ralf: Meine Schuhe. Seitdem ich in Porto Santo im Crocs-Laden war, habe ich nur noch diese Schuhe an. Es gibt, neben den Standard-Modellen, auch Wander- und Segelschuhe. Wozu brauche ich einen Fersensporn?

Auf jeden Fall würde ich mehr Musik mitnehmen. Die Nachtwachen sind wunderbare Gelegenheiten zum Musik hören. Der Download im Hafen ist wegen des langsamen Internets zeitaufwändig, also besser zuhause alles vorbereiten.

Cosima:
Weniger geschlossenen Schuhe, Socken und lange Hosen (die habe ich nur in England gebraucht). Insgesamt weniger Kleidung, denn es gibt überall Waschmaschinen und es macht auch Spaß, hier etwas Neues zu kaufen. Bisher haben wir auch noch keine DVD angeschaut, aber das wird sich ja vielleicht auf dem Atlantik ändern.

Sehr gut (und jeden Tag im Einsatz) ist meine ganze Elektronik samt dazugehörender 12V Ladegeräte: Smartphone, Tablet, E-Book-Reader, Laptop, Kameras. Bei Kleidung und Schuhen haben sich Funktionshosen, Leggins, ärmellose Tops, Jeanshemd, Crocs und Trekkingsandalen am besten bewährt.

Was vermisst du am meisten (außer Menschen und Kater)?


Ralf:
Bis jetzt noch erstaunlich wenig. Ein gutes Essen meiner Mutter gehört auf jeden Fall dazu. Wenn ich am Boot schraube, wünsche ich mir meine Werkstatt neben an. Da könnte ich Dinge, die hier Stunden dauern, in Minuten erledigen.

Cosima:
Schnelles Internet, schnelles Internet, schnelles Internet. Tanzen und Akkordeonspielen. Ansonsten am meisten Nahrungsmittel wie z.B. dunkles Brot und Frühlingsquark. Erstaunlicherweise nicht die Badewanne und das Bidet.

Was erwartest du für die nächsten 100 Tage?


Ralf:
Die Situation wird sich sehr verändern. Wir waren zu zweit in Europa unterwegs. Jetzt besuchen uns Freunde, Paul kommt sogar mehrere Monate zu uns an Bord. Wir verlassen Europa und sehen hoffentlich unsere Söhne in der Karibik wieder, wo wir noch Weile zusammen an Bord leben werden. Dazwischen lassen wir uns noch drei Wochen auf dem Atlantik durchschütteln. Das wird ein neuer Abschnitt unserer Reise.

Cosima:
Nach 100 Tagen zu zweit an Bord wird sich das jetzt erheblich ändern und es beginnt ab den 19.10. eine ganz neue Phase. Zunächst kommen unsere Freunde Carola und Günter nach Gran Canaria in ein Appartement und wir werden gemeinsam die Insel erkunden. Dann kommt der jüngste Sohn samt Freundin an Bord und wir werden zwei Wochen gemeinsam Segeln.

Leonie fliegt wieder nach Hause und wir werden dann unsere Mitsegler von der Odyssey in Teneriffa kennenlernen, gemeinsam über den Atlantik segeln und dann hoffentlich in Barbados auch noch die beiden älteren Söhne treffen. Ich freue mich also auf die Begegnungen mit Familie und alten und neuen Freunden und bin gespannt und aufgeregt wegen der Atlantiküberquerung.

1 Kommentar:

Tilman hat gesagt…

Grossartig, danke fuers teilen!!!
Den Fersensporn braucht man wie es scheint, um eine hoehere Zugbelastung auf nehmen zu koennen, als bei der Ursprungskonstruktion intendiert....kein Problem, BMI anpassen und 25 Jahre warten...;-) wieder was gelernt Herr Ingenieur. https://de.wikipedia.org/wiki/Fersensporn