Sonntag, 7. Juli 2024

Tag 48 - Derry: Viel Geschichte

Weil wir so früh hier angekommen sind, haben wir heute Zeit, uns mit der Geschichte der Stadt zu beschäftigen. Es ist fast völlig windstill, als wir unsere Fahrräder klar machen.
Wir beginnen mit einer Führung in der Guildhall (im Titelbild rechts) - keine Kirche sondern das Rathaus, aber der Architekt hat vorher Kirchen gebaut. Wir sind die einzigen Besucher und haben daher Zeit, unserem Guide Chris fragen zu stellen. Das Gebäude - im neo-gotischen Stil - wurde 1890 gebaut und von der "The Honorable The Irish Society" bezahlt - einer Gesellschaft von 12 Londoner Gilden (dazu später mehr). Entsprechend zeigen die zahlreichen Glasfenster die Wappen der Gilden und die Geschichte von Derry. Hier tagt der City Council, es gibt einen großen Festsaal (mit Orgel) und einen Raum für Hochzeiten. Die Statue von Königin Viktoria in der Vorhalle wurde bei zwei Bombenanschlägen 1972 beschädigt. So fehlen die Krone, das Szepter und eine Hand. Im Sockel sind noch die Spuren der Bombensplitter zu sehen.
Mit besonderem Stolz werden uns die drei Friedenspreise für David Hume gezeigt, der maßgeblich an der friedlichen Lösung des Nordirlandkonfikts beteiligt war. Er erhielt unter anderem den Martin Luther King Award, den International Ghandi Peace Prize und den Friedensnobelpreis.
Zusätzlich gibt es noch eine Ausstellung zum Thema "Ulster Plantation", der organisierten Kolonisierung durch britische Siedler im Norden Irlands.
Unser nächster Weg führt uns ins Tower Museum, wo wir netterweise als erstes einer Ausstellung über die gestern schon erwähnte TV-Serie "Derry Girls" begegnen. Wir sehen die Original-Kulissen und erfahren etwas über die Hintergründe. Auch wenn es eine Comedy-Show ist, so spielt sie doch vor dem Hintergrund der politischen Unruhen in Derry Anfang der 90er Jahre.

Ab hier Beginn Geschichtsstunde:

Alle diese historischen Ereignisse werden dann durch die Ausstellung Geschiche von Derry in die richtige Reihenfolge gebracht. Es beginnt ganz harmlos mit der Gründung eines Kloster durch Saint Colmcille im 6. Jahrhundert. Sowohl Überfälle durch die Wikinger als auch die Besiedelung durch die Normannen verliefen hier undramatisch. Auch wenn Henry VIII sich formal zum König von Irland erklärte und die protestantische Religion einführte, stand die nördliche Provinz Ulster nicht unter englischem Einfluss.

Erst Queen Elisabeth I versuchte, das Problem militärisch zu lösen. Es kam zum Nine-Years-War zwischen gälish-irischen Clanchefs und der elisabethanischen englischen Regierung, der mit einer Niederlage der Iren endete. Die Anführer flohen aus Irland. Diese "Flight of the earls" führte zu einem Machtvakuum. Ihre Ländereien wurden beschlagnamt und neu verteilt.

Und damit sind wir bei der oben erwähnten "Plantation". Neben (protestantischen) Siedlern aus Schottland und Nordengland wurde auch die City of  London, bzw. ihre reichen Kaufleute und Gilden mit an Bord geholt und das Land tatsächlich zwischen ihnen verlost! Das zerstörte Derry wurde samt Stadtmauer neu erbaut und in Londonderry umbenannt. Damit war die Grundlage für weitere politische und religiöse Konflikte gelegt. So wurde während der Auseinandersetzung von die von Protestanten gehaltene Stadt 1689 für 105 Tage von katholischen Streitkräften (erfolglos) belagert (Siege of Derry).

Im Rahmen des irischen Unabhängigkeitskriegs (1919-1921) wurde Irland geteilt. Südirland wurde zum irischen Freistaat und später zur Repubik Irland, Nordirland entschied sich für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Das war jedoch keine einstimmige Entscheidung und führte zum Nordirlandkonflikt, der Auseinandersetzung zwischen (katholischen) Nationalisten und (protestantischen) Unionisten.

Gerade Derry spielte dabei eine wichtige Rolle. Hier kam es 1969 zum "Battle of Bogside", der zur Stationierung von Truppen führte und hier wurden beim "Bloody Sunday" während eines Protestets mindestens 14 Zivilisten von diesen Truppen erschossen. Auf der anderen Seite gab es diverse Bombenanschläge der IRA - zB wie oben geschrieben auf die Guildhall.

Erst mit dem Karfreitagsabkommen konnte der Konflikt 1998 beeindet werden - siehe oben John Hume und Friedensnobelpreis.

Ende der Geschichtsstunde.

Wir haben das Gefühl, dass wir jetzt einige grundsätzliche Zusammenhänge besser verstanden haben, insbesondere warum Kolonisierung im 17. Jahrhundert zur Teilung Irlands im 20. Jahrhundert führte. Wie gut, dass eine friedliche Lösung gefunden werden konnte!

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