Wir wollen eigentlich heute nur kurz an einer Stadtführung
in St. George teilnehmen und danach an Bord noch einige Arbeiten erledigen. Aber
wie so oft auf unserer Reise gibt es ein paar unerwartete, aber sehr schöne
Entwicklungen. Am Samstag fahren keine Fähren und daher ist die Stadt ziemlich leer.
Zuerst sieht es so aus, als ob wir die einzigen bei der Führung wären, aber
dann kommt noch ein Ehepaar aus USA und eine Italienerin hinzu. Unser Führer
ist Rev Lorne Bean von der örtlichen Methodistenkirche – ein großer Geschichtenerzähler!
Viele Informationen haben wir schon auf unseren früheren
Ausflügen bekommen, aber er versteht es, die Vergangenheit lebendig werden zu
lassen. Wir lernen, anhand der Dachneigung und einigen anderen Einzelheiten das
Alter der Gebäude zu schätzen, er berichtet, wie die teilweise sehr witzigen
Straßennamen entstanden sind (Featherbed Alley, Shinbone Alley…), zeigt uns, wo
das Herz von Admiral George Somers (der mit der SEA VENTURE hier strandete und
nach dem die Stadt benannt ist) begraben ist und vieles mehr.
Meine liebste Geschichte ist die der „Peppercorn Ceremony“: St.
George war ursprünglich die Hauptstadt. Diese wurde jedoch 1815 nach Hamilton
verlegt und das Regierungsgebäude hier wurde nicht mehr benötigt. Um
Unterhaltungskosten zu sparen, wurde das „State House“ an die Freimaurer zum Preis
von einem Pfefferkorn pro Jahr vermietet. Der Vertrag gilt auch heute noch und die
Übergabe des Pfefferkorns wird mit großem Zeremoniell begangen (ich sage nur
Militärkapelle, Pferdekutschen, alles was Rang und Namen auf Bermuda hat im elegantesten
Outfit oder in Uniform, Pfefferkorn auf Silbertablett und Samtkissen…)
Die Führung war vom „Town Crier“ angekündigt worden und der
hatte gleich Ralf und den anderen Herrn als Helfer für eine später stattfindende
Zeremonie engagiert: „Dunking of the Nag“ – dabei handelt es sich um eine Dame,
die wegen Nörgeln und Tratschens bestraft wird und zwar durch Eintauchen ins
Hafenbecken auf einem speziellen Stuhl. Ralf wurde zusammen mit vier anderen „Freiwilligen“
für die Bedienung des Stuhls eingeteilt und der andere Herr durfte den
örtlichen Betrunkenen spielen. Die Dame wurde wirklich mehrfach mit großem
Platsch ins Wasser fallen gelassen und beide Schauspieler spielten ihre Rollen
sehr überzeugend!
Inzwischen war es schon Mittag geworden und wir gingen eine
Kleinigkeit essen – schön, dass wir uns hier schon auskennen und wissen, wo das
gut und – für bermudische Verhältnisse – relativ günstig geht. Während der
Führung hatten wir eine kleine Kunstgalerie entdeckt und dort wollten wir
eigentlich nur kurz nach einem kleinen Original für unsere Bildersammlung
schauen…
Die Künstlerin, Emma J. Ingham, ist so freundlich und
interessant, dass wir uns eine ganze Weile mit ihr unterhalten. Ihre Mutter kam
im 2. Weltkrieg nach Bermuda, um als „Censorette“ zu arbeiten, da sie (die
Mutter) fünf Sprachen beherrschte. Die Post aus USA nach Übersee wurde hier
geöffnet und gelesen, um eventuelle Spionage zu entdecken. Emma selbst wurde
dann 1946 hier auf Bermuda geboren. Sie hat ihre Karriere als Modezeichnerin begonnen,
malt jetzt aber überwiegen Blumen und Landschaften in Wasserfarben. Sie hat
große Ständer mit verschiedenen Bilder und Ralf und ich suchen zwei mögliche
Kandidaten aus und fragen nach dem Preis. Große Überraschung: sie schenkt uns
das eine Bild und nimmt für das zweite nur Geld an, als wir darauf bestehen…
Auf Empfehlung von Emma besuchen wir dann noch das „St. George’s
Historical Society Museum“ im gleichen Gebäude. Es handelt sich um das Haus
eines reichen Händlers, dass den Charme des 18. Jahrhunderts bewahrt hat. So
ist die Küche noch vollständig eingerichtet.
Wir bekommen eine Privatführung durch die Räume angeboten,
die wir gerne in Anspruch nehmen. So sind z.B. „Bermuda Bags“ ausgestellt,
deren Besonderheit im Griff aus Bermuda-Wacholder ist. Dieses Holz wurde auch
für den Schiffbau verwendet. Eine der Taschen gehörte der Mutter unserer Führerin
und es wird eine Briefmarkenserie über diese Taschen geben. Auch das Außengelände
ist wunderschön (siehe auch oben).
Wir lernen einiges über die Rolle von Bermuda im
Amerikanischen Bürgerkrieg, als England die Südstaaten unterstützte und mit speziell
gebaute Schiffe als Blockadebrecher von Bermuda und den Bahamas aus operierte. Im
Keller gibt es dann noch eine Druckerpresse nach dem Vorbild von Johannes
Gutenberg.
Erst nachmittags geht es wieder zurück zum Schiff, wo Ralf
dann noch Vorbereitungen zum Abdichten des Lecks im Kleiderschrank trifft. Ein
Püttingeisen (Befestigung der Wanten, die den Mast seitlich halten) endet genau
im Schrank und dort ist beim Segeln Wasser hereingekommen. Heute hat er die
alte Dichtmasse entfernt und die Stelle sorgfältig gereinigt, morgen soll sie
dann wieder geschlossen werden.
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